Route 66 – People. Mit Nick Gerlich auf Entdeckungsreise entlang der alten Route 66, Teil 1

Unsere erste Begegnung mit Nick findet im Internet statt, wie so oft in der heutigen Zeit. Facebook ist schuld. Die Route 66 community dort. Nick ist einer davon, inzwischen sind wir es wohl auch. Wir haben uns mit ihm in Amarillo verabredet, damals im Mai dieses Jahres. In der Crush Wine Bar and Deli zum Dinner. Wir begegnen einem großartigen Menschen, der mit ganzem Herzen bei der Sache ist, wenn es um die Route 66 geht. Es stellt sich schnell heraus, dass wir gemeinsame Interessen haben in Bezug auf die 66. Wir wollen ein Buchprojekt, wir machen die Fotos und Nick kann und will schreiben. Über die 66, ihre bekannten und unbekannten Orte, ihre Menschen, ihre Geschichte. Was liegt also näher als ein „joint venture“? Gesagt, getan. Der Startschuss fällt in Amarillo. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, auf das, was vor uns liegt.

 

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Los geht‘s im September. Wir haben noch 14 Tage Urlaub zur Verfügung, wovon wir eine komplette Woche mit Nick auf uns bisher unbekannten Pfaden auf und entlang der alten Straße verbringen.

Unser Treffpunkt ist das Blue Swallow Motel in Tucumcari, New Mexico. Gibt es einen besseren Ort, um das Unternehmen zu starten? Wir treffen gegen Abend des 24. September am Blue Swallow ein. Nick hat unsere Zimmer schon vorher reserviert. Kevin, der Besitzer des Motels, den wir von früheren Aufenthalten kennen, begrüßt uns freundlich. Er und Nick kennen sich sehr gut, u.a. von der Arbeit am Video „Exit Zero“, das vom „Unoccupied 66“ Team im nahen Glenrio gedreht worden ist. Dazu später mehr.

Nick trifft gegen 20.45 ein, direkt aus seiner Vorlesung an der West Texas A&M University in Canyon bei Amarillo. Dort ist er im Hauptberuf Professor für Marketing. Seine Vorlesungen finden immer Donnerstags statt. Für den Rest der Woche helfen ihm die modernen Medien dabei, seine Studenten zu betreuen. Nick ist fast ständig online, das Handy stellt die Verbindung her. Aus allen noch so entlegenen Gebieten. Moderne Zeiten.

Wir freuen uns, ihn wieder zu sehen. Es gibt noch eine kurze Besprechung des morgigen Programms und dann ist es Zeit zum Schlafen, denn es geht früh los am nächsten Morgen. Um 6.30 wollen wir Tucumcari verlassen und unsere ersten Ziele ansteuern.

25. September:

Wir folgen Nick‘s „Van“, so nennt er seinen Dodge, der aufgehenden Sonne entgegen, Richtung Texas. Am Exit 15 verlassen wir die Interstate, parken unter einer Brücke.

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Jetzt heißt es, „Snake Guards“ anlegen. Diese „Schutzhüllen“ um die Unterschenkel schützen vor Schlangenbissen. Klapperschlangen sind hier überall sehr verbreitet. Da uns unsere Exkursionen über Stock und Stein und querfeldein führen werden, sind die Dinger unerlässlich. Und selbst wenn kein „Rattler“ auftaucht, fühlt man sich damit sicherer.

Ein erstes Tor ist zu überwinden, wir folgen einem dünnen Pfad durch hohes Gras. Route 66? Ja, tatsächlich, wir marschieren entlang der alten Straße und suchen nach Überresten, die ihre Existenz beweisen. Wir finden sie in Form von „Culverts“, Reste von Unterführungen, kleine Stein-oder Betonmauern am Rande des Weges.

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Nach ein paar Meilen drehen wir um, gehen in die andere Richtung. Auch hier erinnern nur ein paar Betonteile an die alte 66. Dann die Überreste einer Brücke. Die machen schon etwas mehr her, was das Fotografieren angeht. Inzwischen ist die Sonne schon ziemlich hoch in den texanischen Himmel gestiegen, die Temperaturen steigen merklich. Man kommt ins Schwitzen.

 

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Zurück zu den Autos, vier Meilen Interstate und raus am Exit 11. Vor uns liegt die Bridwell Ranch, Corrals, Cowboys, ein paar Rinder und Stiere. Mitten im Nichts. Das Ranchhaus liegt eine halbe Meile entfernt. Wir parken an den Corrals und marschieren los. Nick hatte vorher schon die Erlaubnis des Ranchers eingeholt. Schließlich bewegen wir uns auf privatem Land. Und das ist in Amerika heilig.

 

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Nicht weit entfernt erkennt man eine alte Eisenbahnbrücke, über die vor 35 Jahren der letzte Zug gefahren ist, wie Nick uns informiert. Eisenbahn und Route 66, das gehört irgendwie zusammen, denn die beiden Verkehrswege führten und führen über viele Meilen parallel durchs Land. Wieder versperrt uns ein Zauntor den Weg. Es klemmt, man kriegt es kaum auf. Und direkt daneben ein „Hot Wire“, ein elektrischer Weidezaun. Und prompt passiert es: Nick bekommt die Hauptladung ab beim Versuch, das Tor zu öffnen. Auch ich habe noch was davon… Wir überstehen es. Etwas geschockt, im wahrsten Sinne des Wortes.

Dann ein paar verrostete Autowracks zwischen Kakteen und von der Wüstenflora überwuchert. Keiner kennt ihre Geschichte, aber es muss eine geben. Wer hat sie hier zurück gelassen, damals, als die Straße hier entlang gen Westen führte? Wir müssen es uns immer wieder klar machen: wir laufen auf der Route 66. Am Boden ein paar alte Öldosen, vom Rost zerfressen, geben sie ihre Herkunft nicht mehr preis. Öldosen sind es sicher, Nick ist Experte auf diesem Gebiet. Zu Hause hat er eine ganze Sammlung davon. Spurensuche „in the middle of nowhere“. Aber es macht Spaß, auch wenn so manche Schweißperle auf der Stirn und sonstwo erscheint.

 

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Dann zurück zur Ranch, wir wollen noch ein Stück in die „andere Richtung“ fahren. Auf dem Feldweg, der die 66 ist. Wir klettern in Nick‘s Van. Nach ein paar Metern bleibt er im Schlamm stecken. Es hatte geregnet hier, der rote Schlamm ist noch nass. Keine Chance. Wir hätten unseren 4WD Jeep nehmen sollen. Und nun? Nix geht mehr, die Karre steckt fest. Vorsichtig aussteigen, mit großem Schritt über den roten Matsch. Das klappt. Okay, es gibt nur eine Möglichkeit: der Rancher oder einer seiner Cowboys muss helfen und den Wagen rausziehen. Es sind nur ein paar Meter zum Corral, wo wir einen der Jungs treffen. Sein Truck hat aber ein Viehanhänger hinten dran, damit kann er nicht helfen. Also fahren wir zum Ranchhaus. Zum Glück treffen wir den Rancher, der sofort bereit ist, das Auto rauszuziehen. Er hat noch kurz zu tun und schickt uns vor zum Ort des Missgeschicks. Ich bitte Nick, es noch einmal zu versuchen, mit leichtem Hin-und-Her-Schaukeln, ein kleines Stück vor, ein kleines Stück zurück – manchmal klappt das. Und siehe da, es geht, nach ein paar Mal Hin-und-Her kommt der Van frei! Glück gehabt, Lektion gelernt. Nie mehr durch feuchten, roten Lehm.

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Nächstes Ziel ist Exit Zero – Glenrio, die kleine Ghost Town an der Grenze zu New Mexico. Dort haben wir noch eine Rechnung offen. Bisher haben wir nur von außen fotografieren können. „No trespassing“ Schilder überall. Wir haben uns daran gehalten. Diesmal dürfen wir rein in das Gebäude – das letzte und gleichzeitig erste Motel in Texas, so jedenfalls steht oder eher stand es auf dem großen Schild vor dem Haus. Glenrio ist eine eigene Geschichte, auf die wir später zurück kommen. Wir dürfen also rein, dank Nick, der die Besitzerin kennt und ihr Okay bekommen hat. Eigentlich nichts Besonderes hier, eine alte Ruine, wie so viele an der 66. Aber Fotos von innen durch‘s Fenster mit der „Cafe“-Aufschrift, das hat was und deshalb wollen wir rein.

 

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Nach getaner Arbeit geht es über die alte 66, die hier eine Dirt Road ist, vorbei an den „Modern Restrooms“, Überreste einer ehemaligen Tankstelle mit einem kleinen Restaurant, zurück nach Tucumcari.

 

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Am verlassenen Paradise Motel halten wir an. Nick will etwas heraus finden. Mögt ihr Geister? Vielleicht gibt‘s hier einen. Auf jeden Fall mag der Geist Musik. Wenn man zum Office-Eingang des Motels geht, hört man sie. Musik, ganz leise. Ein Radio? Laut Nick hört man sie immer, wenn man her kommt. Auch wir haben eine dunkle Erinnerung daran, als wir zum ersten Mal hier waren. Wie kann das sein? Ein Radio braucht Strom. Geht die Stromversorgung noch? Muss so sein, aber es ist niemand hier, die alten Autos sind seit Jahren nicht bewegt worden. Man hört sie, die Musik, auch auf der anderen Seite des Gebäudes. Ganz leise. Radio? Warum dann keine „Commercials“ oder Nachrichten? Wir können es nicht ergründen. Da stehen Briefkästen vor dem Haus. Ich schaue hinein – es liegt Post drin. Zeitungen, Briefe mit Datum von diesem Monat, adressiert an den Besitzer des Motels, namentlich. Also lebt doch noch jemand hier? Zumindest muss die Post abgeholt werden. Ein bisschen „spooky“ ist das.

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Nächstes Ziel ist die Newkirk Bridge. Ob sie wirklich mal so hieß, weiß auch Nick nicht. Wir nennen sie einfach so, weil sie in der Nähe von Newkirk liegt, das nur aus ein paar alten Ruinen und einer Tankstelle besteht. Wir müssen wieder ein Tor überwinden und zu Fuß gehen. 2,6 Meilen one way. Und es ist heiß. Wieder bewegen wir uns auf der alten Straße, von der noch stellenweise „pavement“ vorhanden ist, überwuchert von Gräsern und Büschen. An manchen Stellen kann man noch den Mittelstreifen erkennen. Er ist weiß und nicht gelb, wie überall in Amerika. Weiß war früher, sehr viel früher.

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Unterwegs begegnet uns dieser kleine Kerl. Eine Texas-Krötenechse. Was für ein Name. Aber sie ist harmlos, Nick kennt sich aus. Außerdem findet man das Tierchen auf den texanischen Nummernschildern wieder, weil es tatsächlich das „offizielle Tier“ des Staates ist. Klapperschlangen wären dafür wohl eher ungeeignet.

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Nach schweißtreibendem Fußmarsch kommt die Newkirk Bridge in Sicht. Die Brücke muss mal recht imposant gewesen sein. Die Fundamente stehen noch, der Rest ist verfallen, liegt in der braunen Brühe des Flusses.

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Nach ausgiebigem Fotostopp der Rückmarsch zu den Autos. Noch einmal 2,6 Meilen. Doch der Tag ist noch nicht vorbei.

Der letzte „Programmpunkt“ ist der Zia-Marker. Ein Gedenkstein irgendwo im Nirgendwo hinter Santa Rosa. Langsam geht die Sonne unter, das Licht wird besser. Der Hike zum Marker führt uns wieder über Privatgelände. Auch hier hat Nick für das Okay des Ranchers gesorgt. Vorbei an Weidezäunen und Kühen beachtlichen Formats geht es zum Marker, nicht ohne vorher ein weiteres Tor zu erklimmen. Für Nick ein besonderes Ziel. Auf dem Stein kann man deutlich das Sonnensymbol der Zia Pueblo Indianer erkennen, ein Symbol, das sich u.a. auch in der Flagge des Staates New Mexico wieder findet. Der Marker steht an der Stelle, an der die Route 66, die damals noch New Mexico 3 hieß, einst den New Mexico 20 Highway kreuzte. Eigentlich nichts anderes als ein Wegweiser, wie man an den verwitterten, heute kaum noch lesbaren Inschriften erkennen kann. Die Sonne geht unter – perfekt für diesen Ort.

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Im letzten Licht machen wir uns auf den Rückweg zu den Autos und fahren nach Santa Rosa. Hier geht dieser erste Tag unserer 66 Expedition mit dem Abendessen im Comet Restaurant zu Ende. Das Lokal hat eigentlich „66-Tradition“, aber so ganz kann es unsere Erwartungen nicht erfüllen. Macht nichts, der Tag war anstrengend, da stellt man keine großen Ansprüche mehr. Übernachtung im örtlichen Best Western Motel, wo wir ohne Reservierung dank einer sehr effizienten Mitarbeiterin an der Rezeption in wenigen Minuten unsere Zimmerschlüssel bekommen. Good Night Santa Rosa.

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