Die Wüste lebt

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Zumindest noch ein bisschen. In Amboy, in der kalifornischen Mojave Wüste befindet sich Roy‘s. Roy‘s ist ein Café mit Tankstelle, war mal ein Motel, war mal eine Reparaturwerkstatt, war mal ein ganz wichtiger Stopp auf dem langen Weg nach Westen.

 

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Und heute? Roy‘s ist immer noch ein beliebter Stopp – für Reisende auf der Route 66 und das hauptsächlich, weil der Ort ein so schönes Fotomotiv ist.

Die meisten Touristen werden ihren Wagen oder ihr Motorrad schon weit vorher, in Needles oder Topock aufgetankt haben, denn vor ihnen liegt ein langes Stück Route 66 durch die heiße Mojave Wüste. Man kann tanken bei Roy‘s, aber es ist teuer. Getränke gibt es in beschränkter Auswahl aus dem Kühlschrank – und das war‘s eigentlich schon. Das Engagement für die 66 und seine Besucher hält sich dort in recht engen Grenzen, wenn man den Berichten und Bewertungen glauben darf. Unsere eigene Erfahrung reicht nicht aus, um etwas wirklich Negatives sagen zu können, denn wir haben dort nur fotografiert und eine Cola gekauft. Die haben wir bekommen und mehr wollten wir nicht.

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Roy‘s war einmal ein blühendes Unternehmen. Als Roy Crowl im Jahre 1938 die Tankstelle am Highway 66 in Amboy in Betrieb nimmt, ist die Route 66 die wichtigste Ost-West-Verbindung in den USA. Damals wird die 66 von ihrer ursprünglichen Streckenführung über Goffs zu ihrem jetzigen Verlauf umgeleitet, um eine direkte Verbindung von Needles nach Essex zu schaffen. Und somit macht es Sinn an dieser Stelle eine Tankstelle und zwei Jahre später ein Motel, bestehend aus kleinen „Cabins“ und schließlich (1945) ein Café zu eröffnen.
Herman „Buster“ Burris, Crowl‘s Schwiegersohn, steigt in das Geschäft ein und übernimmt schnell das Kommando bei Roy‘s und auch in Amboy.
Ich habe damals geplant, nur eine kurze Zeit hier in der Wüste zu bleiben, aber daraus wurde nichts. Ich mochte es dort und entschloss mich, zu bleiben. Zusätzlich zu den Cabins machte ich eine Reparaturwerkstatt auf und im Jahr 1945 das Café.“ *

Während des Krieges geht es weiter aufwärts mit Roy‘s. Der Grund ist die Armee, die in der Mojave-Wüste zahlreiche Manöver durchführt.
„Wir hatten eine Menge militärischen Betrieb hier während des Krieges. Viele Soldaten, die überall in der Wüste Militärübungen abhielten, passierten Amboy in Konvois. Das war gut für‘s Geschäft.“ *

Mit seinem alten Studebaker Pick-up Truck bringt Buster das Benzin von Barstow nach Amboy. Auf dieselbe Art gelangen die Pfähle für Stromleitungen und Telefonkabel in das winzige Nest.

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Der richtige Boom beginnt in den Nachkriegsjahren, als die Nation mit ihren Altmobilen gen Westen aufbricht, neuen Landschaften und Abenteuern entgegen. Es gibt kaum Neukonstruktionen unter den Automobilen, die die Route 66 entlang fahren und so ist es kein Wunder, dass so mancher gerade hier in der heißen Wüste Kaliforniens mit seinem Gefährt liegen bleibt. Roy‘s Werkstatt hat Hochkonjunktur.

„Das wirkliche Geschäft an der Straße begann etwa um 1948. Nach dem Krieg waren meine Cabins ständig ausgebucht. Wir vermieteten sie Tag und Nacht. Wenn kein Zimmer mehr zu haben war, schliefen die Leute in ihren Autos. Das Café versorgte die Menschen mit Essen. Außerdem hatten wir jede Menge Ersatzteile auf Lager, bis hin zu kompletten Motoren für die einzelnen Marken. Zwischen den späten 40ern und den frühen 70er Jahren war dieser Ort ein richtiges Tollhaus. Wir waren 24 Stunden am Tag geöffnet. Ich hatte 90 Vollzeitmitarbeiter damals. Während der Saison im Sommer stieg diese Zahl auf 120. Wir hatten Kellnerinnen, Mechaniker, Zimmermädchen und Köche, die aus Oklahoma, Texas, Arizona und allen möglichen Orten im Land zu uns kamen. Man konnte meinen, dass die ganze Welt durch Amboy fuhr.“ *

Im Jahr 1959 wird das heutige Wahrzeichen errichtet, das weithin sichtbare, berühmte Neonschild. Zur gleichen Zeit entsteht die neue, moderne Motel-Rezeption, eine auffällige Konstruktion mit großem Dach über einer Glasfassade. Noch heute kann sie jeder bewundern und einen Blick ins Innere werfen. Dort hat man die Einrichtung im Stil der frühen 60er Jahre belassen, der Counter, das Schlüsselbrett, Telefon und Rechenmaschine, ein Klavier und ein paar alte LPs.

 

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Dann kommt die Interstate. Und einmal mehr bedeutet sie das Ende für ein florierendes Geschäft.

Alles änderte sich, als die Interstate fertig wurde. Es war, als ob jemand eine Sperre über die 66 gestellt hätte. Der Verkehr hörte einfach komplett auf.“ *

Damit wird dem kleinen Ort und Roy‘s die wirtschaftliche Grundlage entzogen, die meisten Bewohner verlassen die Stadt. Roy‘s hält zwar den Betrieb aufrecht, aber dieser einstmals so wichtige Halt an der Route 66 verfällt mehr und mehr. Das Motel wird geschlossen, auch die benachbarte Schule, lediglich das Post Office bleibt – bis heute.

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Amboy erfährt im Jahre 2003 noch einmal Aufmerksamkeit, als die sieben verbliebenen Einwohner versuchen, den gesamten Ort bei ebay zu versteigern. Das gewünschte Ergebnis wird allerdings nicht erzielt und so kauft zwei Jahre später der Betreiber der „Juan Pollo“ Restaurants den gesamten Ort für 425.000 Dollar. Angeblich mit der Absicht, das kleine Wüstennest mit seiner berühmten Tankstelle wieder mit Leben zu erfüllen. Bis heute ist davon nicht viel zu sehen.

 

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Die Harley-Gruppen und die anderen 66 Touristen halten aber weiterhin dort an. Ein kalter Drink, ein Kaffee oder ein paar Liter Sprit. Und das Route 66 Emblem auf der Straße vor dem Neon ist allemal ein Erinnerungsfoto wert.

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Aufgrund von Aufzeichnungen und Briefen von Roy Crowl und Buster Burris wissen wir, dass Amboy viel Prominenz auf der Durchreise gesehen hat. Elvis Presley, Frank Sinatra oder Judy Garland aus der Musikszene zum Beispiel. Aber auch Hollywood-Größen wie Brad Pitt oder Harrison Ford machen hier Station. Ebenso werden die Präsidenten Ronald Reagan und George Bush Sr. erwähnt.

Inzwischen haben Werbeagenturen den Ort als Kulisse für Videoclips oder Werbeaufnahmen entdeckt. Selbst Mercedes war vor Ort um ein Video über die SLK-Klasse zu drehen.

Nicht weit entfernt, genauer gesagt ca. 2,5 Meilen südwestlich von Amboy, liegt der Amboy Crater, ein erloschener Vulkankegel, der leicht über den Western Cone Trail besucht werden kann. Es gibt einen Parkplatz und einige im Schatten liegende Picknicktische, die auch nötig sind, wenn man von einer Wanderung zum Kraterrand unter der heißen Sonne der Mojave-Wüste zurückkehrt. Und außerdem… achtet auf Klapperschlangen!

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* Quelle: Route 66 – The Mother Road von Michael Wallis

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