Kurz hinter Barstow schwenkt die Route 66 in südwestliche Richtung. Wir passieren Lenwood. Die folgenden Meilen bis Helendale und Oro Grande stellen ein sehr ursprüngliches Stück Route 66 dar. Allerdings sind fast alle Gebäude und Geschäfte, die einst von der 66 profitierten, entweder ganz verschwunden oder präsentieren sich in den unterschiedlichsten Stadien des Verfalls. Man könnte dieses Stück 66 fast als langweilig bezeichnen, verläuft es doch durch eine eher karge und nicht sehr abwechslungsreiche Wüstenlandschaft. Aber bald haben wir’s geschafft.
Auf der rechten Seite begleitet uns weiterhin die Eisenbahn, dahinter der Mojave River. Man muss schon sehr aufmerksam sein, wenn man die wenigen, oft völlig verrosteten oder zertrümmerten Überbleibsel besserer Zeiten entdecken will. Viel ist es nicht. Und es wird immer weniger. Einzig das im Ranch-Stil gehaltene The Two 66 Sixes Co. Zeichen fällt ins Auge. Die meisten ehemaligen Motels oder Tankstellen sind inzwischen völlig verschwunden, genau wie ein großes Autokino in Lenwood. Der Route 66 Car Service in Helendale hat seine Version von Tow Mater, dem uns schon bekannten Abschleppwagen aus dem Animationsfilm Cars vor die Tür gestellt. Leicht zu erkennen an den Augen. Ansonsten hat der alte Chevy nur entfernte Ähnlichkeit mit dem Original – es ist eher ein Tankwagen. Egal, ein weiteres Autorelikt mehr. Von der ehemaligen Polly Gas Station ist nur noch das Schild mit dem grünen Papagei erhalten.
Eine Attraktion aber sollte man nicht auslassen und das ist natürlich Elmer‘s Bottle Tree Ranch. Man findet sie kurz hinter Helendale – die 66 verläuft inzwischen in südlicher Richtung – auf der rechten Seite. Gar nicht zu übersehen.
Elmer Long heißt der Mann, der diese ungewöhnliche Kreation in die karge Landschaft gesetzt hat. Angefangen hat er damit im Jahr 2000. Die auf Eisenstangen in Baumform aufgespießten Flaschen nennt er moderne Weihnachtsbäume. Inzwischen gibt es davon unzählige auf seinem Grundstück, ein regelrechter Wald aus Flaschenbäumen. Man kann hindurch gehen und sich alles ansehen, Elmer hat nichts dagegen. Eine kleine Spende nimmt er aber gern entgegen. Wenn er zu Hause ist, hat er meist Zeit für ein Pläuschchen, zumindest, wenn er sich außerhalb seiner Behausung sehen lässt. Man kann auch mal anklopfen, vielleicht öffnet er. Wir selbst haben ihn bisher noch nicht angetroffen. Seine Kunstwerke stehen inzwischen hoch im Kurs, er soll große Summen für so eine Installation angeboten bekommen haben, aber er hat immer abgelehnt. Er mag es so, wie es ist und er mag sein Leben so, wie es ist. Elmer ist wahrscheinlich zusammen mit Harley in Erick/Oklahoma der ungewöhnlichste Typ an der heutigen Route 66.
Ein kurzes Stück down the road erwartet uns der Iron Dog Saloon, ein auffälliges rotes Gebäude mit allerlei antikem Gerät davor. Für Biker ein must stop, allein schon wegen der kleinen Gedenktafel für den Easy Rider Helden Dennis Hopper. Auch Evil Knievil findet per Tafel und Motorrad Erwähnung.
Wir erreichen Oro Grande, nicht gerade der hübscheste Ort an der Strecke. Schuld daran ist in nicht unwesentlichem Maße der Kalksteinabbau, der hier in großem Stil betrieben wird. Dicke Trucks, mit Kalkstein beladen, verstauben die Gegend. Die Zementfabriken am Straßenrand tragen nicht gerade zur Verschönerung bei. Ein bisschen Route 66 findet sich in Oro Grande auf der rechten Seite der Straße. Der längst geschlossenen Mohawk Mini Mart, die rostigen Zapfsäulen daneben. Auch dieses Ensemble verfällt mehr und mehr. Inzwischen ist das Dach über der Tankinsel zusammen gefallen und wahrscheinlich schon ganz verschwunden. Trotzdem ist die Ecke einen Fotostopp wert. Ein Stück weiter steht eine bunte Kuh auf dem Dach einer Pizza-Bude. Es folgt ein ziemlich riesiger Antiquitätenladen und das war‘s auch schon.
Weiter geht‘s durch die triste Landschaft, gesäumt von den Folgen des Kalksteinabbaus. Ab und zu ein Route 66 Emblem auf der Straße, wir sind immer noch richtig. Es geht über eine schmale Eisenbrücke (erbaut 1930), dahinter bilden große Steinbrocken rechts und links der Straße fast einen kleinen Canyon. Sieht aus, wie riesige Trümmerhaufen, die man entlang der Straße aufgeschichtet hat.
Dass sich hier, kurz vor Victorville ein fast historischer Diner hat halten können, ist sicher den vielen Beschäftigten der Zementwerke zu verdanken. Emma Jean‘s Holland Burger erwartet uns auf der linken Seite. Wer hungrig ist, sollte hier einkehren, auch wenn es etwas urig aussieht. Den Diner gibt es seit 1947. Erbaut von Bob und Kate Holland – deshalb der Name – wird der Laden später von Emma Jean Gentry, die hier lange als Kellnerin tätig war, und ihrem Mann Richard übernommen. Inzwischen sind beide verstorben, doch der Diner verbleibt im Familienbesitz und wird von Sohn Brian und seiner Frau Shawna bis heute weiter geführt. Der nostalgische Diner hat so manchen Auftritt in Kinofilmen und TV-Shows. Man sollte also unbedingt mal anhalten, selbst wenn man keine Burger mehr sehen kann.
Womit wir Victorville erreicht hätten. Nachdem wir die I-15 unterquert haben, folgen wir der D Street bis zur Kreuzung mit der 7th Street (der ganze Verlauf ist auch als 15 ausgeschildert), wo wir rechts abbiegen. Zweieinhalb Meilen geht es auf der 15 aka 7th aka Route 66 durch die Stadt bis zur Mariposa Road. Hier über die Interstate fahren und sofort rechts abbiegen und auf die I-15 South fahren (Exit150). Das ist der Verlauf der 66 durch Victorville.
Aber umschauen muss man sich schon in dieser doch recht großen Stadt (100.000 Einwohner), denn sie hat mit dem California Route 66 Museum an der D Street eine Attraktion zu bieten. Man findet es leicht zwischen den Abzweigungen der 5th und 6th. Dies ist die letzte Gelegenheit vor Erreichen des End of Trail, Route 66 Memorabilia in einer enormen Sammlung anzuschauen. Wer also noch die Nerven hat, sollte dies tun. Man wird auch hier, wie allerorts an der 66, herzlich begrüßt. Fragen werden gerne beantwortet, Fotos mit den Museumsmitarbeitern sind natürlich kein Problem. Patti Bridges hat uns ausführlich durch das Museum geführt. Außerdem bietet sich hier die Möglichkeit, mit noch ein paar späten 66 Souvenirs die sicher eh schon umfangreiche Kollektion zu vervollständigen. Der Parkplatz ist groß genug und von dort kann man auch gleich die Murals an den Außenwänden des Museums besichtigen.
OLD TOWN ROUTE 66 – mit diesen Worten quer über die Straße begrüßt uns die Altstadt von Victorville. Sehr attraktiv ist sie allerdings nicht. Es ist nicht viel übrig geblieben von den guten alten Zeiten. Nur ein Schatten seiner selbst ist das Green Spot Motel. Einst dient es den Filmstars und Sternchen aus dem nahen Hollywood als Fun Oasis, was immer man darunter verstehen mag. Später, als die Interstate fertig ist, übernehmen die Drogendealer und ihre Kunden. Hier ein Auszug aus einem Artikel der Los Angeles Daily News aus dem Jahr 2006:
The Green Spot, just a bit off the slice of the route that’s called Seventh Street in Victorville, used to be a fun oasis for celebrities and weary everymen alike. It had a bar in which you could drink away the stress of the road, a little stage for entertainment and quaint, private rooms. When Interstate 15 came in, the once-charming Green Spot became a popular site for prostitutes and meth cooks to ply their trades. Patel, who bought it five years ago, has been in a long process of trying to restore it to its former snazziness. It’s still far from swanky, but a walk around its courtyard evokes the prototypical motel of years gone by.
„This used to be a big place for the movie stars – they’d come here and go to the restaurant or put on shows on the stage,“ Patel said. „When we bought it, it was all drug dealers, but we got rid of them. We’re making it better again.“
Der Versuch des Besitzers namens Patel, das Motel wieder zu ehemaligem Glanz zu führen, dürfte gescheitert sein, wie man leicht erkennen kann, wenn man dem Objekt näher kommt. Da hat sich bis heute überhaupt nichts getan.
Bevor wir uns endgültig großstädtischem Gebiet nähern, gilt es noch einen Gebirgspass zu überwinden. Im nächsten Kapitel.