Die 66 überquert am Ortsende von Amboy die Eisenbahnlinie, so dass wir die Güterzüge, die hier ja fast laufend durch die Wüste rattern, jetzt zur Rechten haben. Vorbei geht‘s am Amboy Crater, einem auffälligen Vulkankegel, zu unserem nächsten Stopp: Bagdad. Nanu, werden sich viele fragen, hier ist ja gar nix. Stimmt, es ist nichts mehr übrig vom alten Bagdad an der Route 66.
Ein einzeln stehender Baum markiert die Stelle, an der einstmals eine kleine Siedlung existierte. Übrigens die Heimat des eigentlichen, ursprünglichen Bagdad Cafe, auf das wir später zurückkommen werden. Heute ist Bagdad nicht mehr als ein Name auf einer ausgebleichten Landkarte.
Doch das Örtchen hat Geschichte: Sie geht auf das Jahr 1883 zurück, als die kleine Ansiedlung von Mitarbeitern der hier entlang führenden Eisenbahnlinie nach der Hauptstadt des Irak benannt wird. Man hat zur Unterscheidung lediglich das h weggelassen. Warum man sich diesen Namen ausgedacht hat, ist uns nicht bekannt. Bis in die 1930er halten die Bahnlinie, die Route 66 und die nahe gelegenen Gold-und Silberminen Bagdad am Leben. Es gibt Hotels, Saloons, Geschäfte, den Bahnhof, und sogar ein Harvey House Restaurant. Zehn Jahre später zeugen nur noch das Bahndepot, eine Tankstelle, ein paar Cabins für Übernachtungsgäste und eben das Bagdad Cafe von besseren Zeiten. 20 Einwohner zählt Bagdad noch – es waren immerhin einige Hundert zu den Glanzzeiten des Städtchens – einer davon, Paul Limon, der später in Cadiz, ein paar Meilen entfernt lebte, erzählt über das Bagdad der 1940er und 1950er Jahre:
„Bagdad was a lively little place. People from all over the desert would come here because of the Bagdad Cafe, owned and operated by a woman named Alice Lawrence. The Bagdad Cafe was the only place for miles around with a dance floor and juke box. The Bagdad Cafe was a happy-go-lucky, popular spot. When I hear or read about the war in the Persian Gulf and Baghdad is mentioned, I think about Bagdad, Calif., and all the good times I had in this town. Overheated cars from every state would stop to get water. Cars in those days were always boiling over. And a lot of those people ate in the Bagdad Cafe.“
Quelle: Charles Hillinger, Los Angeles Times, Januar 1991
Und doch – es ist etwas übrig geblieben von Bagdad. Wie so oft in Ghost Towns, ist es der Friedhof. Er ist winzig, gerade einmal 18 Grabkreuze trotzen dem heißen Wüstenwind. Wer ihn finden will, muss die Bahnlinie überqueren, ein paar hundert Meter auf staubiger Piste und man ist am Ziel.
Noch einmal sieben Meilen in westlicher Richtung sind es bis zum nächsten Friedhof und den letzten Überresten eines kleinen Ortes, namens Siberia. Das Ortsschild, direkt an der 66, kommt als alter Traktorreifen daher, auf den West Siberia gepinselt wurde.
Wir wissen nicht, warum man diesen Flecken, der seine Existenz ebenfalls der Eisenbahnlinie zu verdanken hat, nach einer so extrem kalten Gegend dieser Welt benannt hat. Liegt er doch mitten in der Mojave Wüste mit Temperaturen, von denen man in Sibirien nur träumen kann. Wie auch immer, der Name bezeichnet diesen heute so unwirklich erscheinenden Ort, wo in der 1930er und 1940er Jahren so manches Motel, so mancher Diner und sicher auch die obligatorische Tankstelle den Reisenden auf der Mother Road eine Übernachtung oder die Reparatur ihrer hechelnden Mobile möglich machten. Drei Gräber sind alles, was vom Friedhof übrig geblieben ist, kaum noch zu erkennen. Auch sie werden bald von der Wüste verschluckt werden, genau wie die Ruinen der Gebäude, die hier einst die Einöde belebten. Wer hin will: am Autoreifen rechts ab, ein kurzes Stück Richtung Bahnlinie und man steht vor den Ruinen, die die Wüste noch nicht verschluckt hat. Ein paar alte Mauern, mehr nicht.
Die nächsten zwölf Meilen bis Ludlow sind schnell geschafft. Dort, im Ludlow Cafe, bekommt man Reichhaltiges. Rustikal ist es hier, ein paar schräge Typen mit langen Bärten sitzen am Nebentisch. Truck Drivers vielleicht? Egal, die Bedienung ist recht emsig, wenn auch nicht sehr gesprächig. Trotzdem gut für eine Pause.
Ludlow ist auch so ein Fall. Eine Chevron Tankstelle, die gute Geschäfte macht, denn sie liegt direkt an der Ausfahrt der Interstate, das Cafe und ein Motel, das tatsächlich noch in Betrieb ist, eine Tankstellenruine nebenan. Das ist eigentlich alles, was von diesem Städtchen an der 66 übrig geblieben ist. Ab hier übernimmt wieder die Interstate den Weg nach Westen. Die Bahnlinie natürlich, sie führt geradewegs durch die Reste des Ortes, die komplett aus Häuserruinen bestehen. Es gibt einige davon. Alles verfallen und verlassen. Dazwischen überall Schrott, diesseits und jenseits der Schienen, die wir zu Fuß überqueren, um die dort hinten sichtbaren Autowracks näher in Augenschein zu nehmen. Schön aufgereiht stehen sie da, die vom Rost zerfressenen und verbeulten Reste von Chevrolet, Plymouth, Pontiac und Co.
Auch hier gibt es einen Friedhof. Ein paar Schritte hinter dem Schrottplatz. Auch hier namenlose Gräber hinter einem verrosteten Zaun. Man kann auf dem Gelände überall herum laufen, kein Problem. Aber achtet auf rostigen Schrott, Glasscherben und ja, Klapperschlangen!
In ganz frühen Jahren hat man hier mal Gold gefunden, nicht genug allerdings, um die Stadt am Leben zu erhalten. Um 1900 herum ist Schluss. Dann kommt die 66, es geht wieder aufwärts. Mit dem Bau der Interstate stirbt die Stadt zum zweiten Mal. Fast, denn eigentlich hat Ludlow bis heute überlebt. Die ganze Ansiedlung gehört einer einzigen Familie namens Knoll. Die Touristen, die Interstate – das reicht, um diesen Ort halbwegs am Laufen zu halten.