Ganz weit in der südöstlichsten Ecke von Kansas liegt das kleine Städtchen Galena. Es liegt an der Route 66, von der Kansas einen Anteil von ganzen 13 Meilen hat. „Cut the Corner“ sagen die Amerikaner. Man schneidet sozusagen eine kleine Ecke von Kansas ab, wenn man die 66 entlang fährt. Und dann kann man Galena gar nicht vermeiden. Sollte man auch nicht. Muss man gesehen haben, dieses kleine Nest in der recht tristen Umgebung des südöstlichen Kansas. Dabei gibt‘s gar nicht viel zu sehen, nichts Besonderes zumindest. Den ollen Charme einer alten Bergbaustadt, den kann man mehr fühlen, als sehen. Vielleicht macht es genau das aus.
Ein bisschen Gruseln kann man sich dort auch. Hier ist Blut geflossen. Und man kann sich das gut vorstellen, vorausgesetzt, man stellt seine eigene kleine Zeitmaschine auf die 1890er Jahre ein. Oder noch besser auf 1877, denn dann kann man die Stadtgründung miterleben.
Damals betreibt ein deutscher Siedler namens Egidius Moll Ackerbau und Viehzucht in dieser Gegend. Irgendwer findet auf seinem Land sogenanntes Galenit, ein Bleierz. Lange vor dem alten Egidius hatten die Indianer schon spitz gekriegt, dass hier wertvolles Rohmaterial für ihre Schießprügel zu finden war. Blei für die „Bullets“. Manchmal haben sie richtige Brocken davon aus dem Boden geklaubt. Dann kommt 1877. Ein paar junge Leute finden ein paar schwere Steine, die offensichtlich Blei enthalten. Egidius verschwendet keine Zeit und kontaktiert Minengesellschaften in Joplin, Missouri. Gleich um die Ecke. Man macht sich auf die Suche. Erfolgreich. Immer mehr Klumpen des wertvollen Erzes werden entdeckt.
Zwei rivalisierende Minengesellschaften sind involviert, jede gründet mal schnell eine Stadt. Empire City, nördlich des Short Creek und Galena, südlich davon. Benannt wird die Stadt nach eben jenem Bleierz, dem Galenit. Keine zwei Monate dauert es, bis die Einwohnerzahl des gerade erst gegründeten Städtchens die 3000 übersteigt. Kein Goldrausch, aber ein Bleirausch, wenn es so was gibt. Geschäfte entstehen, Kneipen, Saloons, ein Post Office, eine Zeitung, der „Galena Miner“, das übliche. Bordelle auch, wie überall, wo einsame Minenarbeiter zugange sind. Schließlich braucht „Mann“ Abwechslung nach der harten Arbeit in den Bleiminen. Eigentlich sind es ja nur große Löcher im Boden.
Ein paar Monate später hat sich die Einwohnerzahl auf mehr als 10.000 erhöht, nachdem auch noch große Zinkvorkommen entdeckt worden waren.
Empire City und Galena verfallen in einen regelrechten Wettbewerb, welche Stadt denn nun die bessere Location für‘s Bleibuddeln sei. Galena hat die besseren Chancen, denn die Vorkommen liegen näher am Stadtgebiet, als in Empire City. Also strömen die Leute von Norden nach Süden, Empire hat ein Problem. Was tun? Empire‘s Stadtrat beschließt, einen 1 1/2 Meilen langen Wall an der „Südfront“ zu errichten, um den Verkehr zwischen den beiden Orten zu unterbrechen oder wenigstens zu erschweren. Unter Polizeischutz wird das Vorhaben ausgeführt. Eine kleine Lücke muss noch gefüllt werden, als Galena zum Gegenangriff schreitet und mit 50 seiner Bürger den Wall angreift und zum großen Teil wieder nieder reißt. Es soll nicht allzuviel Blut geflossen sein bei dieser Provinzposse. Vorläufig nicht. Aber der Krieg der beiden Städte geht weiter. Jahrelang befehden sich die Bewohner, hauptsächlich an der „Red Hot Street“, wie die einzige Verbindung passenderweise genannt wird. Angeblich schlafen Ärzte und Bestattungsunternehmer tagsüber und arbeiten nachts, weil da mehr zu tun ist. Diese Szenerie bildet den Hintergrund für weiteres Ungemach in den Städten. Die Anzahl der Saloons und Spielhöllen, der Bordelle wird größer und größer. Es zieht so manchen Outlaw, manchen Revolverhelden und andere dunkle Gestalten in die Stadt. Trotzdem entwickelt sich auch Reichtum. Wer Glück hatte mit dem Bleisuchen, steckt sein neu gewonnenes Vermögen in den Bau von Häusern, die richtig was hermachen im Vergleich zu den armseligen, schnell zusammen gezimmerten Hütten und Blockhäusern der weniger Erfolgreichen.
Die Eisenbahn darf natürlich nicht fehlen. Sie erreicht Galena schon im Jahr 1879 in Form der „Kansas City, Fort Scott & Gulf Railroad Company„.
Die Zahl der Zeitungen verdreifacht sich, ebenso die der Kirchen und Schulgebäude. In den späten 1890er Jahren – dort sind wir inzwischen mit unserer Zeitmaschine angekommen – zählt die Stadt zwei Banken, 36 Lebensmittelgeschäfte und vier Dutzend andere Kramläden. In nicht weniger als 265 Minen wird das Blei aus der Erde geholt. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts steigt die Zahl der Minengesellschaften auf über 30. Die Erde muss so was von bleihaltig sein. Die Luft ist es manchmal auch in jenen Tagen.
Und dann ist da noch eine „mörderische“ Geschichte, die sich dereinst in Galena zutrug. Dazu braucht es ein Bordell, eine „Dame“ namens Ma Steffelback, ihre Söhne und einige Dutzend Minenarbeiter, die ihren Lohn in eben jenem Etablissement unter die „Mädels“ bringen wollen. Mrs Steffelback vervielfacht ihren Verdienst, indem sie die nichts ahnende, ob der sportlichen Betätigung wahrscheinlich ziemlich ermattete männliche Kundschaft kurzerhand von ihren Söhnen in eine bessere Welt befördern lässt. Bei angeblich mehr als 30 Opfern dieses Verfahrens sei ein kleines Vermögen „erarbeitet“ worden. Die nahen Minenschächte werden als letzte Ruhestätten der so hingemachten Kunden auserkoren. Das geht einige Jahre lang gut, bis es Krach mit einer von Mrs. Steffelbacks Angestellten gibt, die flugs zum Sheriff rennt und die grauslichen Taten ihrer Chefin zum Besten gibt. Das war im Jahr 1897, die Lady wird für den Rest ihres Lebens hinter Gitter gesteckt. 1909 scheidet sie dahin, nimmt aber das Versteck der Beute mit ins Grab. Und so sucht heute noch der ein oder andere optimistische Schatzgräber nach den vermissten Goldmünzen. Das Bordell der Ma Steffelback steht gleich am Ortseingang von Galena, wurde kürzlich renoviert und kann auch besichtigt werden. Inzwischen gibt es unter ortsansässigen Historikern aber Zweifel, ob die Untaten der Dame und ihrer mörderischen Söhne tatsächlich in DIESEM Haus stattfanden oder doch eher im Wohnhaus der Familie, das heute nicht mehr existiert. Der Phantasie sind also kaum Grenzen gesetzt. Mag sich jeder Besucher seine eigenen Gedanken machen. Und sicher spukt es auch dort – die Location ist für ein „Haunted House“ bestens geeignet. Und für eine schöne Gruselgeschichte …

1910 wird endlich der Konflikt der beiden Städte beendet, Empire City wird per Gerichtsbeschluss zum neuen Stadtteil Galenas. Die Bevölkerung ist auf gut 6000 geschrumpft – so mancher Glücksritter dürfte die Stadt verlassen haben, Nachschub bleibt vorerst einmal aus. Immer noch genug aber, um auch noch ein Opernhaus zu gründen. Man stelle sich „Aida“ oder „Die Zauberflöte“ im „Wilden Mittleren Westen“ vor – das hat doch was.
1926 geht‘s dann wieder bergauf mit Galena, denn die Route 66 – und damit sind wir endlich wieder beim Thema – führt durch die Stadt. Tankstellen, Motels, Werkstätten, Restaurants … alles genau wie auch andernorts entlang der Straße. Zehn Jahre lang geht es ruhiger zu in Galena, aber dann knallt‘s noch mal gewaltig. Es gibt Streit zwischen den Minenarbeitern und den Bossen der Mining Companies. Die Arbeiter sind inzwischen organisiert und die „Mine, Mills and Smelter Workers International Union“ bläst zum Streik.
Was die Bosse nicht sehr beeindruckt, ersetzen sie doch die streikenden Arbeiter durch andere, nicht organisierte Kräfte.
Und damit beginnt in den 1930er Jahren der Krieg der Minenarbeiter. Die Organisierten, nicht faul, blockieren die Route 66, bewerfen die vorbei fahrenden Vehikel mit Steinen, auch so manche Kugel fliegt mal wieder durch die Luft. Besonders abgesehen haben sie es natürlich auf die Fahrzeuge, die die Streikbrecher zu den Minen fahren. Der Verkehr auf der 66 muss umgeleitet werden, für Jahre sogar, denn die Scharmützel dauern bis ins Jahr 1937 an. Dann kommt es zu einer größeren Konfrontation zwischen den streikenden und damit arbeitslosen Minenarbeitern und den Streikbrechern, die inzwischen in ihrem eigenen Club, der „Blue Card Union“ organisiert sind. Neun Menschen werden niedergeschossen, die Versammlungshalle der Gewerkschafter weitgehend zerstört und eine erkleckliche Anzahl der Streitsüchtigen beider Seiten landet im Gefängnis, nachdem die lokalen Ordnungshüter unter Anwendung des vor Jahren über Galena verhängten Kriegsrechts für Ruhe gesorgt hatten.
Bis in die 1970er Jahre existieren die Blei-und Zinkminen in Galena. Dann ist Schluss, weil nichts mehr zu holen ist. Die Bevölkerung der Stadt geht immer weiter zurück. Daran ändert auch die Route 66 nichts. Zusätzlich treten Umweltprobleme auf, denn aus den Minen dringen Giftstoffe ins Grundwasser. 1983 beginnt das Saubermachen.
Inzwischen sind die Reste der alten Minen gesäubert, zugeschüttet oder auf andere Art beseitigt worden. Allerdings sind nicht alle Löcher und Tunnel befestigt, 2006 kollabieren zwei historische Gebäude in Galena, unter denen sich noch alte Stollen befanden. Bis heute arbeitet die Stadt an der Stabilisierung alter Bauten.
Die Geschichte der Stadt ist im örtlichen „Galena Mining and Historical Museum“ sehr schön dokumentiert. Liegt gleich an der Main Street rechts.
Man sieht, in Galena war richtig was los. Heute ist das Gegenteil der Fall. Trotzdem muss man hier anhalten, wenn man auf der Route 66 unterwegs ist. Denn da gibt es „Cars on the Route“, eine wunderschön restaurierte, ehemalige Kan-O-Tex Tankstelle.
Eigentlich heißt die neu gestaltete Tanke „Four Women on the Road“. Betty Courtney, Renee Charles, Judy Courtney und Melba Riggs erwerben das Gebäude vor einigen Jahren und machen es zu einer Tourist Attraction an der 66. Coffee und Gift Shop inklusive. Bei unserem Besuch ist von den vieren nur noch Melba übrig und das Ganze ist in „Cars on the Route“ umbenannt worden und das nicht ganz ohne Hintergrund:
Kennt Ihr „Cars“? Ja klar, John Lasseter‘s Disney-Pixar Animationsfilm aus dem Jahr 2006. Die Geschichte von Lightning McQueen, Sally Carrera und Tow Mater (Hook) war ein großer Erfolg in den Kinos weltweit… und hat was zu tun mit der Route 66. Denn Lightning McQueen‘s Weg zum großen Rennen nach Los Angeles führt über die Route 66. Und es ist kein Zufall, dass fast alle Charaktere und Locations des Films lebende „Gegenstücke“ entlang der Mother Road haben.
Der Streifen erhielt den Golden Globe für den besten Animationsfilm, einen Grammy für den Song „Our Town“ und war für zwei Oscars nominiert, hat aber leider keinen bekommen.
Der Film hat viel beigetragen zum „Revival“ der Route 66. Entlang der gesamten Strecke findet man immer wieder Autos mit „Augen“ hinter den Windschutzscheiben. Ob in Seligman, Tucumcari oder Galena – watch out for Cars with Eyes. Der Original Tow Mater, also der Abschleppwagen, steht hier in Galena gleich neben der Tankstelle – man kann sich reinsetzen! Was wir natürlich gleich ausprobiert haben.
Melba ist ein echtes Original der Route 66. Sie erzählt jedem, der den Laden betritt alles, was er/sie hören möchte oder auch nicht hören möchte. Ihr Wortschwall ist nicht zu stoppen, die Niagara Fälle sind nichts dagegen. Aber sie tut es sicht-und hörbar gerne, die Leute lieben sie dafür. Einem ungeübten Ohr entgeht allerdings so mancher Gag oder auch mehr, denn wir Europäer sind nicht so gut in Kansas-Platt, schon gar nicht in diesem Tempo. Aber schön ist es bei „Cars on the Route“. Kürzlich sei Melba übrigens in Pension gegangen, heißt es. Ob das stimmt? Wahrscheinlich. Aber ob sie‘s durchhält? Schwer vorstellbar. Also, macht einen Stopp bei „Cars on the Route“ und schaut nach, ob sie da ist. Wenn nicht … schade. Ein paar Souvenirs, ein Burger und ein Kaffee mögen Euch trösten.
Quelle zur Geschichte Galenas: http://www.legendsofamerica.com by Kathy Weiser-Alexander and Dave Alexander
Ein Gedanke zu “In einer kleinen Stadt”