Steigen wir also ein in unser Route 66 Gefährt, wie immer es auch aussieht, lassen ganz relaxed den Arm aus dem Autofenster hängen und machen uns auf nach Texas, wo ja angeblich alles größer, weiter, toller sein soll, als anderswo. Das Land der Cowboys und Cowgirls erwartet uns, das Land der großen Hüte, Halstücher und Cowboystiefel. Die Landschaft verändert sich, das Grün Oklahomas wechselt zum Braun-Gelb der texanischen Prärie.
Wer Karl May gelesen hat, kann sich unter dem Llano Estacado, den Staked Plains etwas vorstellen. Genau durch dieses Gebiet führt uns die Route 66. Da Karl May ein phantasiereicher Schriftsteller war, hat er die Pfähle erfunden, die den einsamen Reiter durch diese öde, baumlose Graslandschaft führen sollten und ab und zu auch ins Verderben, wenn ruchlose Bösewichter die Pfähle umgesteckt haben:
„Aber auch noch in anderer Beziehung ist diese Wüste gefährlich. Da nämlich weder Baum noch Strauch als Wegweiser dienen kann, so hat man den Weg, welcher durch sie führt, mit langen, kahlen Stangen bezeichnet; daher sie den Namen Llano Estacado, das ist die abgesteckte Wüste, führt. Nun gibt es dort allerlei Gesindel, deren Anführer diese Pfähle herausreißen und in falscher Richtung stecken lassen. Wer ihnen dann folgt, geräth immer tiefer in die Oede hinein, muß elend verhungern und verdursten, und ist er dann todt, so wird sein Leichnam von den feigen Räubern beraubt.“ (K. May: Waldröschen)
Nun ganz so doll treiben es die Bewohner des Panhandle heute nicht mehr. Wir können uns also getrost auf den Weg durch den Llano Estacado machen. Der Name geht übrigens auf die frühen europäischen Siedler zurück, die unter Führung des spanischen Eroberers Francisco Vasquez de Coronado dieses Land betreten und es nach den Steilhängen der umgebenden Felsen, die sie an Palisaden erinnern, Llano Estacado nennen. (Ebene von „Palisaden“ umgeben). DAS ist die wahre Geschichte.
Jack Rittenhouse, der im Jahr 1946 als erster ein „Guide Book to Highway 66“ geschrieben hat, das man auch heute noch als Nachdruck bekommen kann, beschreibt die Straße im Panhandle als „Straight, paved highways and great efficient ranches now obliterate all traces of the big herds of buffalo which roamed here, together with the Indians; the Kiowas and Comanches.„
Die Route 66 in Texas – Gateway zum Westen, zum „wilden“ Westen einst, denn schon vor Entstehung des Highways gibt es hier zahlreiche Trails und Pisten, über die die Helden und Antihelden des ausgehenden 19. Jahrhunderts das Ziel ihrer Träume zu erreichen suchten. Erst die Route 66 bringt Ordnung ins Durcheinander, gibt endlich Orientierung für alle, die auf ihrer Reise dieses Gebiet passieren.
Von „No Place Like Texola“ bis zur Grenze, die von einem simplen grünen Schild „Texas Stateline“ markiert wird, sind es gerade mal 500 Meter. Und wieder erreichen wir die I-40, die vierspurige 66 verengt sich und wird wieder zur südlichen Frontage Road oder auch Interstate Service Road. Kurz vor Shamrock trennen wir uns wieder von der Interstate, fahren geradeaus auf der East 12th Street, dem Highway 40 und der Route 66 mitten in das Städtchen hinein.
Shamrock existiert seit 1902, als die Chicago, Rock Island and Gulf Railway Company ihren Haltepunkt so benennt. Der Name ist schon ein paar Jahre älter. Ein irischer Einwanderer und Schafzüchter namens George Nickel zeichnet dafür verantwortlich. Er bedenkt ein Post Office nahe seiner Farm mit der irischen Version von Kleeblatt und dieser Name wird von der Eisenbahngesellschaft übernommen. Dass hier am St. Patricks Day eine große Parade stattfindet – und das seit 1938 bis heute – ist sicher nicht verwunderlich.
Das Städtchen profitiert, wie viele andere, vom Ölboom, so lange es ihn gibt und von der 66 solange es sie gibt. Danach geht‘s auch hier bergab. Immerhin halten etwa 2000 Einwohner die Stellung und erfreuen sich an der Wiederbelebung der Straße und die zunehmende Zahl der Touristen aus aller Welt, die alle in Shamrock anhalten, denn sie wollen sich die Sehenswürdigkeit des Ortes natürlich nicht entgehen lassen. Die Rede ist vom U-Drop Inn. Gar nicht zu übersehen an der Kreuzung der 66 mit der US 83.
Der Bau ist wirklich auffällig, eines der Markenzeichen der Route 66. Das mit einem markanten Turm ausgestattete Gebäude wird im Jahr 1936 im damals populären Art-Deko Stil errichtet. Es beherbergt eine Tankstelle und ein Restaurant, eben das U-Drop Inn.
Heute ist das inzwischen restaurierte Bauwerk im Besitz der Stadt Shamrock, die die örtliche Chamber of Commerce dort einquartiert hat. Außerdem sind ein Route 66 Museum, ein Café, das Visitor Center und natürlich ein Gift Shop dort untergebracht. Wir waren tagsüber dort, sind aber abends noch einmal zurück gekommen, um das zwar moderne, aber trotzdem spektakuläre Neon, das das gesamte Gebäude umgibt, von seiner besten, nämlich leuchtenden Seite zu fotografieren.
Direkt gegenüber liegt das Western Motel, falls man in Shamrock übernachten möchte. Unbedingt anschauen sollte man sich die sehr schön restaurierte Magnolia Service Station, eine weitere dieser Tankstellen Schmuckstücke an der Route 66. Dazu fahren wir auf der North Madden Street (ein Block östlich, also VOR der 83/66 Kreuzung) ein Stück nach Süden bis zur E2nd Street. Drei schöne alte Zapfsäulen stehen unter dem Vordach der Tankstelle, neben dran noch ein antikes Feuerwehrfahrzeug.
Und wen der große Hunger plant, wenn er nach Shamrock kommt, dem empfehlen wir wärmstens Big Vern‘s Steakhouse gleich um die Ecke vom U-Drop Inn ebenfalls an der North Madden Street. Urige Atmosphäre mit Lokalkolorit, am Nebentisch eine texanische Rancher-Großfamilie, alle mit Hut, ein klasse Bier in großen, runden Gläsern und hervorragende Steaks. Texas at its best.
Weiterhin schnurgerade wendet sich die 66 als South Frontage Road gen Westen. Die I-40 hat Shamrock natürlich umgangen, aber kurz nachdem wir die Stadt verlassen haben, treffen wir sie wieder.
Vorbei am winzigen Lela, eine fast Ghost Town mit verfallenen Gebäuden und betagten Rostlauben, erreichen wir unser heutiges Ziel McLean.
McLean ist auch so ein Ort, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Leergefegte Main Street, kein Mensch, auch kein Auto zu sehen an diesem Sonntagnachmittag. Wieder so ein Endzeit-Szenario. Wo sind die Bewohner dieser Stadt? 800 davon soll es geben. Über allem wacht der McLean Wasserturm, dessen verblasste Schrift den Namen seines Standortes der nur in spärlicher Menge vorbei schleichenden Route 66 Welt verkündet.
Das abgeblätterte Mural an der Wand einer längst aufgegebenen Tankstelle direkt unter dem Wasserturm beschreibt McLean als „The Heart of Old Route 66“. Man kann noch den coolen, sonnenbebrillten Halbstarken erkennen, der auf dem Kühler seines vor einem Diner geparkten Straßenkreuzers sitzend, auf der Gitarre den neuesten Bill Haley Hit klimpert, während die gestreifte Kellnerin auf Rollschuhen die Burger vorbei bringt. Those were the Days…
Bevor wir ins Stadtzentrum, Downtown genannt, gelangen, fallen uns rechts auf Metallpfähle gespießte Buchstaben auf. „Rattlesnakes“ signalisieren sie dem Vorbeifahrenden. Das Ganze ist ein restauriertes Überbleibsel einer ehemaligen Schlangenfarm, die ursprünglich im vorhin erwähnten Lela beheimatet war.
Gleich davor begegnen wir wieder einer Serie der schon bekannten Burma Shave Zeichen. „Going East – or going – West – Route 66 – does its best. – Burma Shave“. So steht es geschrieben auf dieser Schilderreihe. Mehr davon gibt‘s im Devil`s Rope/Route 66 Museum ein paar Straßen weiter zu sehen. Unter anderem diesen netten Spruch: „Hardley a Driver – is now alive – who passed – on Hills at 75 – Burma Shave“. (Hardley genau SO geschrieben). Das Museum ist heute der Sitz der Texas Historic Route 66 Association und präsentiert außer 66 Memories auch jede Menge antiken Stacheldraht. Deshalb der sinnreiche Name Devil‘s Rope Museum. Dass es am Sonntag geschlossen ist, bedarf keiner weiteren Erwähnung – das hatten wir ja auch schon in Elk City. Also begnügen wir uns mit Fotos der beiden Stacheldrahtballen vor dem Gebäude und dem Longhorn-Schädel, der ironischerweise „Open“ verkündet.
McLeans Anfänge bestehen aus Verladestationen für Rindvieh an der Rock Island Railroad. Das war im Jahre 1901. Es folgen Farmen, die ihre Erzeugnisse, hauptsächlich Wassermelonen, ebenfalls über die Eisenbahn zu den Märkten transportieren, die Stadt gewinnt immer mehr Einwohner, eine Zeitung, die McLean News gehört natürlich auch dazu. Zu zweifelhafter Bekanntheit kommt der Mitbegründer der Stadt, Alfred Rowe – ein gebürtiger Engländer – im Jahre 1912, als er an Bord der unglücklichen Titanic im kalten Ozean untergeht.
1927 erreicht die Route 66 die Stadt – Öl war schon in den Jahren vorher in dieser Gegend gefunden worden – und so ist es nicht verwunderlich, dass alsbald ganze 16 Tankstellen in McLean die Vehikel der Reisenden mit dem notwendigen Treibstoff versorgen. Allen voran die erste Phillips 66 Tankstelle auf texanischem Boden. All das ist glorreiche Vergangenheit, es ist so gut wie nichts davon übrig geblieben. Einzig die Tankstelle ist restauriert worden und die sollte man sich natürlich nicht entgehen lassen. Die wievielte ist es eigentlich? Man findet sie an der Ecke Gray and First Street.
Wir haben in McLean übernachtet und zwar in einem echten Route 66 „Mom and Pop Motel“: Das Cactus Inn liegt am Ende der First Street. Es hat noch ein schönes altmodisches Kaktus-Schild, das Motel ist sauber, klein und preiswert. Können wir also empfehlen. Gleich daneben das Red River Steakhouse, falls das Rinderstück bei Big Vern in Shamrock nicht groß genug war…
Good Night, Texas.